- Literaturnobelpreis 1965: Michail Scholochow
- Literaturnobelpreis 1965: Michail ScholochowDer Russe erhielt den Nobelpreis für »die künstlerische Kraft und Gewissenhaftigkeit, mit der er in seinem Don-Epos eine geschichtliche Phase im Leben des russischen Volks geschildert hat«.Michail Aleksandrowitsch Scholochow, * Kruschilin (Dongebiet) 24. 5. 1905, ✝ Wjoschenskaja (Dongebiet) 21. 2. 1984; 1920 Eintritt in die Rote Armee, 1922-24 Hilfsarbeiter und Journalist in Moskau, 1924 Übersiedlung nach Wjoschenskaja, 1932 Beitritt zur KPdSU, 1960 Leninpreis, 1961 Mitglied im Zentralkomitee der KPdSU, 1967 Held der Arbeit.Würdigung der preisgekrönten LeistungMichail Alexandrowitsch Scholochow galt lange als der große alte Mann der sowjetischen Literatur. Spitzenreiter, was die Auflagenziffer anbelangt, war er ohnehin, denn bis 1960 erschienen allein in der Sowjetunion rund 33 Millionen Exemplare seiner Werke. Der so genannte »Barde der Kosaken«, der seit 1932 der Kommunistischen Partei angehörte, machte auch im politischen Bereich eine große Karriere, war Deputierter des Obersten Sowjets und 1961 sogar Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU.Selbst Stalin geizte nicht mit Anerkennung. Während in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre ein bedeutender Schriftsteller nach dem anderen den Säuberungen zum Opfer fiel, wurde Scholochow 1939 sogar zum Akademiemitglied erhoben. Auch der sowjetische Staatsführer Nikita Sergejewitsch Chruschtschow wurde nicht müde, Scholochow als Musterbeispiel eines Schriftstellers herauszustreichen. Als Trost für den entgangenen Nobelpreis von 1958, den bekanntlich Boris Pasternak erhielt, bekam Scholochow 1960 den Leninpreis. Auch nach Chruschtschows Sturz blieb Scholochow oben, was sich unter anderem darin zeigte, dass ihn die neuen Herren im Kreml 1967 als Helden der sozialistischen Arbeit auszeichneten.Donkosake im Herzen1905 im Weiler Kruschilin geboren, erlebte Scholochow in seiner Jugend die Kosakenaufstände und Kämpfe am Don, die sich seinem Gedächtnis unauslöschlich einprägten. Im Alter von 15 Jahren trat er einer Nachschubeinheit bei und brachte es dort bis zum Kommissar. Bis 1918 besuchte Scholochow einige Gymnasien. Während des Bürgerkriegs, der kurz nach der Machtübernahme der Bolschewisten zwischen Donkosaken und neuen Machthabern tobte, lebte er am Don und arbeitete in einer Getreideerfassungsabteilung. In dieser Zeit jagte er angeblich »weißgardistischen Banden nach«, die sich bis 1922 am Don breit machten. Später übersiedelte Scholochow nach Moskau, wo er eine Zeit lang als Hilfsarbeiter, Maurer, Auflader und Buchhalter arbeitete. Damals begann er nach eigenen Worten auch, »beharrlich schreiben zu lernen«, und verfasste Feuilletons für eine Jugendzeitung. Bereits mit 18 Jahren begann er die »Geschichten vom Don«, die 1926 erschienen. Es folgte der Novellenband »Flimmernde Steppe«. 1924 zog Scholochow in die Kosakensiedlung (Staniza) Wjoschenskaja, wo er bis zu seinem Tod lebte.Juri Lukin hat den Wohnort Scholochows, der auch sein ganzes Schaffen bestimmte, eindrücklich beschrieben: »Wjoschenkaja liegt auf gelbem Sand. Dort, wo der Strom einen Bogen macht und von der Staniza in der Richtung nach Baski abbiegt, zweigt ein Flussarm in das Dickicht eines Pappelhains ab und bildet einen See, so breit wie der Don bei niedrigem Wasserstand. Am Ende des Sees endet auch die Staniza.« Seit dem Erscheinen der Dongeschichten widmete er sich ganz der schriftstellerischen Tätigkeit und begann 1926 mit seinem Heldenepos der Kosaken: »Der stille Don«, dessen letzter, vierter Band erst 1940 erschien und für das er 1965 den Nobelpreis erhielt. Die ersten Kapitel des Buchs wurden bereits 1928 veröffentlicht und lenkten die Aufmerksamkeit auf den jungen Schriftsteller, der nicht die ideologische Linie verfolgte und sowohl die Gräuel der roten Partisanen als auch die ihrer Gegner anprangerte.Im Mittelpunkt des breit angelegten Werks, das die Schicksale mehrerer Donkosakenfamilien im Revolutionsjahrzehnt zwischen 1912 und 1922 schildert, steht Grigori Melechow, der das einst starke, nun aber zum Untergang verurteilte Kosakentum im Dongebiet verkörpert. Scholochow entfaltet einen epischen Kosmos, in dem Menschen auf der Suche nach der geschichtlichen Wahrheit und dem gerechten Ziel der Erneuerung hin- und hergerissen werden zwischen Lebensgier und dumpfer Todesverachtung, immer wieder besänftigt durch den zeitlosen Frieden des Don und die im Wechsel der Jahreszeiten prachtvoll geschilderte Landschaft. Die Hetzer der Revolution, die Scholochow auftreten lässt, sind gnadenlose, in ihrem Zukunftsglauben unbeirrbare Vorkämpfer der neuen Gesellschaftsordnung. Der Held Melechow ist jedoch ein Mensch mit allen Widersprüchen, der auf beiden Seiten kämpft, auf beiden Seiten nach dem rechten Weg sucht und ihn doch nicht findet. Darin ähnelt er auffallend Pasternaks Romanhelden Juri Schiwago: Schiwago ist wie Melechow ein Gescheiterter, beiden gehört die Sympathie von Autor und Lesern.In der KritikStark auseinander gehen die Meinungen über Scholochows zweites großes Werk »Neuland unterm Pflug«, das ebenfalls in mehreren Teilen zwischen 1930 und 1953 erschien und die ersten Jahre von Stalins Zwangskollektivierung der Landwirtschaft am Don schildert. Während er von Kommunisten wegen seiner vielen »positiven Helden« gelobt wurde, geißelte die westliche Kritik das Werk als »unkritisch heroisierende Schilderung«. Der Qualitätsabfall zwischen den beiden Hauptwerken Scholochows nährte die Spekulationen darüber, ob Alexander Solschenizyn (Nobelpreis 1970) Recht hatte, wenn er behauptete, Scholochow habe »Den stillen Don« überhaupt nicht selbst verfasst, sondern das Manuskript einem im Bürgerkrieg gefallenen Weißgardisten gestohlen. Wie tief der Graben zwischen Regimekritikern und Scholochow war und zu welch persönlichem Hass auch Scholochow gegenüber seinen Kollegen fähig war, demonstriert eine Rede, die er 1969 auf dem dritten Sowjetischen Kolchos-Kongress hielt. Darin nimmt er auf den Ausschluss Solschenizyns aus dem sowjetischen Schriftstellerverband Bezug. »Ihr kämpft erfolgreich gegen die Schädlinge der Felder«, so Scholochow unter dem Beifall der Delegierten, »aber bei uns sind unglücklicherweise die Koloradokäfer noch nicht verschwunden, die das sowjetische Brot essen, aber dem westlichen, bourgeoisen Wirt dienen wollen, dem sie auch in aller Stille ihre Werke zustellen. Doch wie ihr in eurer Wirtschaft, so sind auch wir sowjetischen Schriftsteller vom Wunsch erfüllt, jeglichen Mängeln und Hindernissen zu entrinnen, und wir werden uns ihrer zweifellos entledigen.«Angesichts solcher Hasstiraden wird das abgrundtiefe Misstrauen oppositioneller sowjetischer Schriftsteller gegen Scholochow verständlich. So erklärte der im Sommer 1969 in den Westen emigrierte Schriftsteller Anatoli Kusnezow kurz nach seiner Ausreise in einem Interview: »Kein einziger Schriftsteller hat die Stalin-Diktatur überlebt, wenn er nicht irgendeine Gemeinheit begangen hat. Scholochow, dem es sowohl unter Stalin als auch unter Chruschtschow ausgezeichnet ergangen ist und der unter Breschnew ein gutes Leben führte, ist für mich und nicht nur für mich allein eine schreckliche Figur.«M. Geckeler
Universal-Lexikon. 2012.